Di 16.4. Marianne
Helmut Dietrich
Die Aufstände, die seit Ende 2010 die arabische Welt erschüttern, richten sich gegen Armut und Entwürdigung. Damit zielen sie auf die lokalen Machtverhältnisse und zugleich auf das Wohlstandsgefälle, das Europa mit seinem tödlichen Grenzregime im Mittelmeer installiert hat. Ebenfalls seit Ende 2010 befinden sich die südlichen EU-Länder im Aufruhr gegen die Euro-Spardiktate und gegen die Politiker-Kaste.
Zeltlager der Protestierenden, die mit dem herrschenden Alltag brechen, enstehen in den Innenstädten. Es sind fluktuierende Wellen des Aufbegehrens. Die Kerne der Macht – die Produktionsverhältnisse, die Eigentumsordnungen und die hoch ausgebildeten Repressionskräfte – sind bisher nicht von den Auflösungserscheinungen erfasst. Während die staatlichen Ordnungen derzeit an ihren Rändern kollabieren, erfolgt eine Aufrüstung der Überwachung und eine Militarisierung des Südens. Mit „Eurosur“ wird 2013 ein umfassendes Abschottungssystem im Mittelmeer an den Start gehen. Wenn aber dem Zentrum seine Peripherie abhanden kommt, werden auf lange Sicht diese Kerne der Macht in eine Krise geraten. Obwohl sich die Aufstände ähneln, korrespondieren sie kaum aktiv miteinander. Wie wird ein transnationaler Austausch der Zukunft aussehen? Wie werden Aufstände mobil? Was haben wir zu lernen?
Helmut Dietrich ist Gründungsmitglied der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration. Er arbeitet seit 1981 mit Migrant_innen und Flüchtlingen, in Aktions- und Sozialforschung und lebte und arbeitete mehrere Jahre in Nordafrika.