Veranstaltungsreihe zu Krise und Überwachung
Der Kapitalismus ist in der Krise. Wieder mal. Beziehungsweise immer noch.
Ob er diesmal zusammenbricht, ist unklar – aber seine Nerven liegen schon blank. Ideologische und technische Aufrüstung nach innen und außen flankieren das Krisengeschehen und werden durch unterstellte oder reale Drohszenarien legitimiert. So verschärften sich im Laufe der Krise die sozialen Verwerfungen in einigen Ländern derart, dass sie inzwischen die bestehenden Ordnungen tatsächlich bedrohen (die SaU grüßt die PIGS). Aber nicht die ärgsten sozialen Auswirkungen der Krise werden bekämpft, vielmehr wird der Gefahr, die von diesen Verwerfungen für die etablierte Ordnung ausgeht, mit verstärkter Kontrolle begegnet. In anderen Bereichen ist die Krise eine willkommene Gelegenheit, in der Schublade schlummernde Pläne umzusetzen, für die die Krise als legitimatorischer Rückenwind dienen soll.
Neuere Kontrollmaßnahmen greifen im Gesundheitssektor, in den sozialen Sicherungssystemen, der Arbeitsplatzüberwachung und den Kommunikationsmedien. Die Krise zeigt Effekte auf die geschlechtlich ungleiche Verteilung von Reproduktions- und Pflegearbeit und strukturelle Ungleichbehandlungen auf dem Lohnarbeitsmarkt. Diskurse um Kürzungen im sozialen Sektor werden rassistisch aufgeladen. Rassismus bleibt jedoch nicht auf der diskursiven Ebene stehen, sondern zeigt sich auch in der Aufrüstung der europäischen Grenzen. Mit neuen Polizeistrategien sollen Krisenproteste und potentieller Widerstand der anwachsenden Zahl der Prekarisierten und „Überflüssigen“ nach Möglichkeit verhindert werden. Kämpfe in Städten werden zunehmend zu Kämpfen um Wohnraum und konkrete Lebensbedingungen. Diese werden verschärft durch Auswirkungen der Krise auf den städtischen Immobilienmarkt.
Dass die Überwachungs-, Kontroll- und Disziplinierungsmaßnahmen, zu denen in Zeiten der Krise gegriffen wird, keine willkürlichen Überschlagshandlungen sind, wird klar, wenn wir sie in ihrem gesellschaftlichen Kontext betrachten: als Überwachung im Kapitalismus.
Kapitalismus unterliegt schon immer einem permanentem, krisenhaften Wandel. Besonders in den großen Krisen ist der Kapitalismus gezwungen, sich neu zu formieren. Die Neuformierung – sei sie bedingt durch ökonomische Faktoren oder durch Verschiebung der Kräfteverhältnisse aufgrund von sozialen Bewegungen – führt nicht nur zu neuen wirtschaftlichen Strategien. Veränderungen finden in vielen gesellschaftlichen Bereichen statt und werden entweder diskursiv legitimiert oder notfalls auch mit Gewalt durchgesetzt.
Unabhängig davon wie sich der Kaputalismus nach einer Krise ausrichtet, muss er in alle möglichen Richtungen abgesichert werden. So ging der Kapitalismus seit seinen Anfängen mit unterschiedlichen Formen von Disziplinierung einher. Er war und ist in seinen verschiedenen Phasen immer flankiert von verschiedenen Überwachungs- und Kontrollregimen, zum Beispiel um Eigentum zu sichern, Arbeit zu überwachen oder „Überflüssige“ zu kontrollieren. Durch diese sich immer wieder erneuernden Strategien kapitalistischer Vergesellschaftung ergeben sich wiederum auch veränderte Anforderungen an die Überwachungsinstrumente.
In Rahmen dieser Veranstaltungsreihe sollen Krisendynamiken in den verschiedensten Bereichen diskutiert werden. Dabei wird nicht nur die aktuelle Krise seit 2008 und ihr Verhältnis zu neuen Kontroll- und Überwachungstechniken betrachtet. Berücksichtigung finden auch vorhergehende Krisen, um zu verstehen, wie diese, und insbesondere der Umgang mit ihnen, gesellschaftliche Strukturen verändern.
Seminar für angewandte Unsicherheit [SaU]
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