Ankündigung
Wer von Jobcentern und Überwachung reden will, darf von Kapitalismus nicht schweigen!
Dass Hartz IV staatlich verordnete Armut bedeutet, hat sich inzwischen rumgesprochen. Doch wie es um die Überwachung, Kontrolle und Disziplinierung der Betroffenen durch die Jobcenter steht, ist ein weniger beachtetes Thema. Dabei handelt es sich – wie die Aktivistin Anne Allex es ausdrückt – um „die größte Datensammlung seit der Volkszählung“. Neben den Datenbanken und anderen Kontrollinstrumenten ziehen sich darüber hinaus institutioneller Rassismus sowie damit verbundene Willkür der Sachbearbeiter*innen durch den Alltag in den Jobcentern, so dass bestimmte Gruppen besonders hart betroffen sind. Gleichzeitig sind auch Auswirkungen auf Lohnarbeitende zu beobachten. Um sich dem Jobcenter-System zu entziehen, bleiben immer mehr Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, leben unter dem Existenzminimum und nehmen schlechte Arbeitsbedingungen hin, nach dem Motto: Immer noch besser als Jobcenter.
Kapitalismus geht seit seinen Anfängen mit unterschiedlichen Formen von Disziplinierung einher, insbesondere derer, die als „nicht-produktiv“ galten und gelten (wie Erwerbslose, Arme, Kranke, Wohnungslose). Die Umsetzung der Agenda 2010 und die Einführung von Hartz IV schließen an diese Traditionslinie an. Das derzeitige Funktionieren des Sozialstaats basiert auch auf einer ideologischen Komponente. Wie wird diese durchgesetzt bzw. legitimiert? Ist das Ausblenden der Überwachung der Erwerbslose im gegenwärtigen überwachungskritischen Diskurs stützender Teil dieser legitimierenden Ideologie?
Diesen und anderen Fragen wollen wir in dieser Veranstaltungsreihe nachgehen.
Die Veranstaltungen werden im Zielona Gora (Grünbergerstr. 73) und der Baiz (Schönhauser Allee 26A) stattfinden.
Beide Orte sind rolligerecht.
Interview mit der [SaU] zur Veranstaltungsreihe
Nach der Reihe haben wir mit dem Anarchistischen Radio Berlin gesprochen. Das Interview ist der erste Beitrag ihres September-Podcasts (ab Minute 2:30).
Termine
Veranstaltungen
Der Kampf um die eigenen Daten ist in den letzten Jahren ein gesellschaftliches Thema geworden. Dabei wird oft vergessen, dass Millionen Hartz IV-Empfänger*innen rundum überwacht werden. Die Kontrolle über ihre Kontobewegungen gehört ebenso dazu, wie die Überwachung ihrer Aktivitäten im Internet. Zudem können Sozialdetektiv*innen selbst im Kühlschrank und im Badezimmer von Hartz-Bezieher*innen schnüffeln, wenn es den Jobcentern gefällt.
Auf der Veranstaltung wird Rechtsanwalt Volker Gerloff einen kritischen Blick auf Konzept und Instrumente des Jobcenters werfen und diese auf Zwang und Repression hinterfragen. Der Journalist Peter Nowak wird auf die Überwachung von Hartz IV-Bezieher*innen eingehen und die Frage stellen, warum sie in der Bewegung gegen Überwachung eine so geringe Rolle spielen.
- Peter Nowak hat zu dem Thema einen Beitrag in dem von der Initiative Leipziger Kamera herausgegebenen Buch Kontrollverluste – Interventionen gegen Überwachung“ publiziert und Artikel im Onlinemagazin Telepolis veröffentlicht.
- Volker Gerloff ist Rechtsanwalt für Sozialrecht und seit über 11 Jahren im Sozial- und Verwaltungsrecht aktiv.
Obwohl in den Jobcentern und Arbeitsagenturen seit Jahren „die größte Datensammlung seit der Volkszählung“ (Anne Allex) angelegt wird, Menschen bis ins Privateste ausgeschnüffelt, das Bankgeheimnis ausgehebelt und willkürlich Sanktionen verhängt werden, wird all dies kaum im Überwachungsdiskurs thematisiert. Warum ist das so? Wie könnte/sollte ein emanzipatorischer Diskurs aussehen? Diese und andere Fragen stellt sich die [SaU] und will diese gemeinsam mit Anna Biselli von netzpolitik.org diskutieren.
- Anna Biselli kommt aus der Informatik und hat gemerkt, dass sie der politische Kontext nicht loslässt. Deshalb hat sie erst einmal bei netzpolitik.org Praktikum gemacht, um dann dabeizubleiben. Am liebsten beschäftigt sie sich mit Datenschutz und Technik.
- Die [SaU] – Seminar für angewandte Unsicherheit ist seit mehreren Jahren aktiv gegen Überwachung und beschäftigt sich v.a. mit den weniger beachteten Themen im Überwachungsdiskurs.
Die Berlin Migrant Strikers werden über ihre Kämpfe mit dem Jobcenter, mit prekären Arbeitsbedingungen und über Erfahrungen aus ihrer Beratung berichten.
Wie ist die Situation von Migrant*innen aus anderen EU-Ländern beim Jobcenter? Die speziellen rechtlichen Grundlagen für EU-Migrant*innen und die Praxis in den Jobcentern werden das Thema dieser Veranstaltung sein. Dabei geht es um die Erfahrungen der Antragsstellenden und darum, mit welchen Formen von Rassismus sie sich konfrontiert sehen. Wie wird z.B versucht EU-Migrant*innen davon abzuschrecken, Hartz IV zu beantragen? Welche Daten werden speziell von EU-Migrant*innen gefordert?
- Die Berlin Migrant Strikers sind ein selbstorganisiertes Kollektiv von Migrant*innen und prekär Beschäftigten aus der EU. Sie machen politische Aktionen und bieten Beratung an.
- N. N.
The Berlin Migrant Strikers will talk about their struggles with the Jobcenter, with precarious working conditions and about their experiences from their counseling.
What is the situation of migrants from the EU at the Job Center? The special legal conditions for EU-migrants and the way they are executed by the Jobcenter are the topics of this evening. What are the experiences of applicants? With what kind of racism they have to struggle? How are migrants discouraged to apply for social benefit? Which data are collected especially from migrants?
- The Berlin Migrant Strikers is a self-organised collective of migrants and precarious from the EU, besides political actions, they offer social counseling.
- N. N.
In „neoliberalen“ Zeitalter sieht es so aus, als ob die Überwachung Erwerbsloser ausgeweitet worden sei.
Die Veranstaltung beleuchtet historische Vorläufer, spezielle Zwecke, immer wieder aus der Mottenkiste hervor gekramte Methoden sowie aktuelle Besonderheiten näher. An Beispielen wie Färberprotesten, Bettelvoigten, Wassermühle, Arbeitshaus, „Asozialen“ im NS, „Arbeit statt Sozialhilfe“ werden Kontinuitäten in Vorurteilen, Stigmatisierungsformen und davon abgeleiteten Überwachungserscheinungen dargelegt und Unterschiede im gesellschaftlichen Umgang erklärt. Ziel ist es, den Umgang mit Erwerbslosen als Spezifik des Kapitalismus zu begreifen, das dem Wesen nach gleich bleibt, sich aber je nach dem jeweiligen Stand der Produktivkräfte in den geschichtlichen Entwicklungsstufen seiner Erscheinung nach wandelt.
- Anne Allex: Sozialpolitische Wegeweiserin, Publizistin, unterrichtet das Sozialgesetzbuch II, forscht zu sogenannten Asozialen im NS und macht musikalisch-literarische Berliner Salonkunst.
Auf dieser Veranstaltung stellen drei politische Gruppen bzw. Aktivist*innen ihre teils unterschiedlichen Protestformen und -strategien vor. Wie kann eine erfolgreiche Erwerbslosenbewegung aussehen? Was können erfolgreiche Proteststrategien sein? Woran ist der Protest in den letzten Jahren gescheitert? Wie können sich Erwerbslose aus der Randständigkeit befreien? Wie lässt sich der Diskurs um Arbeitslosigkeit verschieben? Wie lässt sich von der Beratung und Aufklärung zur Mobilisierung und Organisierung Erwerbsloser kommen? Welche kollektiven Strategien von Erwerbslosen, Prekären, Migrant*innen und solidarischen Menschen lassen sich für den Alltag erarbeiten? Ist es möglich im alltäglichen Protest politische Alternativen zum kapitalistischen System aufzuzeigen?
- Die Erwerbsloseninitiative Basta! ist eine Struktur „von unten” für alle, die eine parteiliche Beratung, Begleitung, Unterstützung und Organisation suchen.
- Anne Seeck war u.a. aktiv bei „Hängematten“ e.V. und bei den Protesten gegen Einführung von Hartz IV.
- sanktionsfrei! organisiert aktuell eine Kampagne zu Klagen gegen Hartz4-Sanktionen.