Otto-Kataloge: Überwachung für alle
Kaum eineR schien Anstoß an den Antiterrorgesetzen von Otto Schily zu nehmen, die er im Oktober letzten Jahres im Zuge der Terrorhysterie aus den Schubladen hervorzauberte. Nur ein paar Bürgerrechtsgrüppchen meldeten sich zu Wort, die üblichen Verdächtigen, doch nach ein paar Tagen war der Schrei der Empörung auch schon vergessen. Schließlich sind wir auf Terroristenjagd, und dafür müssen auch gewisse "Opfer" gebracht werden.
Was der Otto-Katalog uns an "Sicherheit" bringt:
Wir freuen uns sehr über die Kompetenzerweiterung des Verfassungsschutzes (VS). Dieser darf jetzt auch solche Bestrebungen beobachten, die sich "gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten". Das klingt großartig, nur leider ist nicht davon auszugehen, daß nun rassistische äußerungen von Politikern ("Kinder statt Inder") oder Bundeswehreinsätze beobachtet werden. Vielmehr kann die Schwammigkeit dieser Gesetzespoesie dazu dienen, sämtliche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen "befreundete" Länder bzw. Länder, mit denen die Bundesrepublik Geschäfte machen will, richten. Also z.B. Demonstrationen gegen Menschenrechtsverletzungen in China, RegimekritikerInnen des Iran usw.
Dem Verfassungsschutz gegenüber sind Banken nun verplichtet, Auskünfte über Konten von Organisationen und Personen, die extremistischer Bestrebungen verdächtig sind, zu geben. Bei "sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten" (Versorgungseinrichtungen, Infrastruktureinrichtungen wie Bahn, Post, Telekommunikationsunternehmen, Chemieanlagen, Banken etc.) gilt auch eine Auskunftspflicht. Ob das ein zweite Welle der Berufsverbote gleich dem Radikalenerlass der 70er nach sich ziehen wird, darüber kann mensch nur spekulieren.
Schily hat noch ein weiteres Geschenk für den VS und den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Sie dürfen endlich legal sog. IMSI-Catcher zur Ermittlung des Standortes von Mobilfunkendgeräten (Handy) und zur Ermittlung der Geräte- und Kartennummern einsetzen (u.a. zur Erstellung von Bewegungsprofilen) - was sie natürlich längst tun, z.B. während Castor-Transporten.
Besonders schwerwiegend sind die Änderungen, die die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes (BKA) erweitern. Galt früher noch, daß wir aus den Erfahrungen von Gestapo und Stasi auf eine starke Trennung von geheimdienstlichen Maßnahmen und der polizeilichen Exekutive beharren müssen, um eine unkontrollierbare Zusammenballung von Macht zu verhindern, wird nun an mehrereren Punkten des Otto-Katalogs diese Grenze überschritten. So erhält das BKA eine sog. Vorfeldermittlungsbefugnis. Durch diese ist das BKA befugt, nach allen Seiten zu ermitteln, ohne daß überhaupt ein Verdacht vorliegen muß. Darunter fallen z.B. breit angelegte Telefonabhöraktionen. Entscheidend ist dabei, daß der Verdacht erst am Ende der Ermittlung steht, so daß mit dieser Vorfeldermittlungsbefugnis nahezu alle überwachungsmaßnahmen gerechtfertigt werden können. Das ist auch dem Bundesministerium für Justiz, erstaunlicherweise eines der inhaltlich schärfsten Kritiker, zuviel:
Datensammlungen "auf Vorrat" - nämlich für ein nur möglicherweise zukünftig zu führendes Ermittlungsverfahren - anzulegen und auf unbestimmte Zeit vorzuhalten wäre als verdachtsunabhängige Vorratserhebung und -speicherung ist jedoch im Hinblick auf das durch Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht unzulässig.
Weiterhin erhält das BKA eine Ermittlungskompetenz für bestimmte schwere Formen der "Datennetzkriminalität", insbesondere wenn schwerwiegende Vermögensschäden vorliegen. Dazu schreibt das BM für Justiz:
Ließe sich eine Ermittlungszuständigkeit des Bundeskriminalamts allein unter Hinweis auf besonders schwerwiegende (Vermögens-)Schäden, die durch bestimmte Straftaten verursacht werden, rechtfertigen, wäre damit letztlich der Weg für eine beinahe uferlose Ausweitung der Ermittlungszuständigkeiten des BKA geöffnet und wären die verfassungsrechtlich gewährleisteten polizeilichen Kompetenzen der Länder in Gefahr.
Der Aufbau des BKA als Bundespolizei ist ein weiterer Schritt zur Zentralisierung der "Inneren Sicherheit", hier wird ähnlich dem Bundesgrenzschutz (BGS) eine "Reservearmee" (Gössner) geschaffen für den "Krieg gegen den Terrorismus" bzw. früher "gegen das Verbrechen".
Auch die Kompetenzen des BGS werden natürlich erweitert. Neben der neuen Aufgabe als "Skymarshals", bei der sie auch in Flugzeugen ihr Unwesen treiben dürfen, wird ihr originärer Aufgabenbereich des "Grenzschutzes" auf einen Bereich von 30 km landeinwärts erweitert, in Küstengebiet bis zu 50 km. Schon hier wird deutlich, daß es weniger um Terrorismusbekämpfung geht, als darum, möglichst wenige MigrantInnen ins Land zu lassen, denn welcher Terrorist würde schon mit dem Paddelboot nach Deutschland kommen. Damit verbunden ist eine Ausweitung der Schleierfahndung, also verdachtsloser Kontrollen, die bekannterweise besonders gerne auf dunkelhäutige Menschen angewendet wird.
Insgesamt richten sich ca. 80% des Otto-Katalogs gegen MigrantInnen.
- Die personenbezogenen Daten von Visaantragstellern werden mit denen der Sicherheitsbehörden abgeglichen und dort u.U. dauerhaft gespeichert, wenn bestimmte "Gruppenmerkmale" (z.B. Staatsangehörigkeit) vorliegen.
- Geheimdienste erhalten ungehinderten Zugriff auf sämtliche Daten des Ausländerzentralregisters (AZR), so dass sämtliche Ausländer in das geheimdienstliche Blickfeld geraten
- Die Möglichkeit einer Rasterfahndung mit allen personenbezogenen Daten aus dem AZR wird nicht nur der Polizei, sondern sämtlichen Geheimdiensten erlaubt, ohne dass eine konkrete Gefahr im Einzelfall bestehen müsste (nur generell zur Abwehr einer Gefahr).
- Alle Asyl- und Ausländerbehörden können von sich aus Daten an die Verfassungsschutzämter weitergeben - ohne dass eine spätere Weitergabe der Daten an Verfolgerstaaten ausgeschlossen wäre.
- Mit Einführung der Sprachanalyse zur Herkunftsbestimmung werden Sprachdatenbestände aufgebaut, die der Polizei zur Sprecheridentifikation dienen können (das bedeutet, daß zukünftig "Sprachwissenschaftler" entscheiden werden, ob ein Mensch hier bleiben darf oder abgeschoben wird)
- Ausländervereine sollen künftig erleichtert verboten werden können, wenn sie öffentlichen deutschen Interessen entgegenstehen
- eine Abschiebung ist möglich, sobald Flüchtlinge "die Sicherheit gefährden", wenn sie sich bei der Verfolgung ihrer politischen Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligen, oder einer Vereinigung angehören, die den internationalen Terrorismus unterstützt. An dieser Stelle wird somit der Abschiebeschutz der Genfer Flüchtlingskonvention gebrochen.
Vermessen
Um nicht ganz so diskriminierend zu wirken, hat sich Schily noch Mühe zu geben, mit neuester Technik eine verbesserte überwachung für alle zu schaffen. Biometrie heißt das Zauberwort, das uns "fälschungssichere" Ausweise bringen soll (Die alten waren übrigens damals auch schon "fälschungssicher"). Neben Hologrammen und ähnlichem Schnickschnack, die teilweise auch schon bei dem alten Ausweis benutzt wurden, ist die große Neuerung ein kleiner Chip, der seit dem 1.1.2002 bereits die neuen Ausweise ziert. Allerdings ist auf diesem Chip bisher noch nichts gespeichert, da die Entscheidung, welche biometrischen Daten gespeichert werden sollen, noch aussteht. Im Gespräch sind Gesichtsvermessung, Iriserkennung oder auch die biometrischen Daten des Fingerabdrucks. (nur nebenbei: bei der Gesichtserkennung gehen Wissenschaftler von nur 60-70% Erkennungswahrscheinlichkeit bei optimalen Bedingungen aus) Die Daten werden verschlüsselt und können nur mit Hilfe eines speziellen Lesegerätes entschlüsselt werden. Gegen fälschlich zugeordnete Merkmale vorzugehen, wird dadurch fast unmöglich. Dazu kommt, daß durch die biometrische Totalerfassung der Bevölkerung eine digitale Basis geschaffen wird, die für überwachungsmaßnahmen und Abgleichsverfahren genutzt werden kann. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Da auch jetzt schon jede Demonstration ausgiebig gefilmt wird, ist es demnächst ein Leichtes, auch die Namen aller DemonstrantInnen herauszufinden, bzw. eine bestimmte Person aus einer gefilmten Menschenmenge.
Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert werden, verwendet oder weitergegeben, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. (BVerfGE 65, 43)
Gibt es an einem Tatort Spuren, z.B. Fingerabdrücke, werden diese nur mit der Zentraldatei abgeglichen und schon haben wir den Verdächtigen. Dadurch wird die Unschuldsvermutung umgekehrt, denn nun muß der Verdächtige beweisen, daß er nicht der Gesuchte ist.
Zwar soll bisher keine bundesweite Zentraldatei geschaffen werden, auf Landesebene müssen aber zwangsweise Zentraldateien existieren, ansonsten macht dieses System keinen Sinn. Diese Landesdateien dann zusammenzuführen, dürfte dann nicht mehr benötigen als ein paar Mausklicke.
Was hat das mit Terrorismusbekämpfung zu tun?, fragt sich nicht nur Burkhard Hirsch, der letzte Linksliberale in der FDP, auch das BM für Justiz spricht deutliche Worte:
Im Hinblick auf den Titel "Terrorismusbekämpfungsgesetz" scheint es zudem angeraten, den Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu beschränken.
Der auf den 11. Sept. folgende Sicherheitsaktionismus hat viele Vorschläge wieder ans Licht gebracht, die schon lange die Wunschzettel der Law & Order-Fraktion schmücken und meist schon früher als untauglich abgelehnt wurden. Als weitere Tendenz ist ein Comeback der Geheimdienste zu beobachten, die nach dem Verschwinden der DDR auf einmal ohne Aufgabenfeld waren, und nun sich ein neues Feld sichern mußten.
Drittens ist zu beobachten, daß die eigentliche Stoßrichtung des Gesetzespaketes in der Verschärfung der Repression gegenüber MigrantInnen besteht. Schleierfahndung an der Grenze, Sprachtests, verbesserte Abschiebemöglichkeiten sind Zeichen dafür, daß die Wohlstandsfestung Deutschland gegen die Schwächsten aufrüstet, nicht gegen die Terroristen.
Danach wird es die Linke treffen - Erinnern wir uns an Gesetze wie den §129, der ursprünglich gegen die Organisierte Kriminalität eingeführt wurde und nun als 129b gegen Antifas und andere linke Gruppen angewendet wird. Oder an die Hooligangesetze, deren Ausreiseverbote und Meldeauflagen jetzt GlobalisierungskritikerInnen treffen.
Auch die Terrorismusdefinition der EU, die Ende September ausgearbeitet wurde, sollte Anlaß zur Beunruhigung geben.
Danach soll jeder Mitgliedstaat Massnahmen ergreifen, um "absichtlich durch einen Einzelnen oder eine Gruppe gegen einen Staat, dessen Einrichtungen oder Bevölkerung begangene" Straftaten als "terroristische Taten" mit bestimmten Mindeststrafen zu ahnden, wenn sie mit u.a. der Absicht begangen werden, die "politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen" zu bedrohen und stark zu beeinträchtigen oder zu zerstören".
Neben Mord, Entführung oder Erpressung soll dazu schon die widerrechtliche Inbesitznahme oder Beschädigung öffentlicher Einrichtungen, Transportmittel, Infrastrukturen und öffentlichen Eigentums ausreichen; oder aber die Beeinträchtigung oder Verhinderung/Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Elektrizität oder anderen wichtigen Ressourcen, oder "Angriffe durch Verwendung eines Informationssystems" oder auch nur die Drohung mit einer dieser Straftaten. Auch "urban violence", also "Akte städtischer Gewalt" sollen darunter fallen. Diese Terrorismusdefinition ist so weit gefasst, dass darunter selbst militante Straßenproteste wie die in Genua, Brüssel und Barcelona fallen könnten - oder aber Sitzblockaden vor Atomkraftwerken oder politische Streiks in Versorgungsbetrieben.
Antwort des Bundesministeriums der Justiz vom 17. Oktober 2001 (als PDF-Datei)
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