Die Filmreihe an der HU im SoSe 2003.
Das wars im SoSe 2003. Bald gibt es hier neue Infos zum nächsten SemesterSeit es Fotographie und Film gibt, sind die Möglichkeiten der Überwachung kaum zu ermessen. Doch ebenso beschäftigt sich Film kritisch mit der Überwachung von Menschen durch Mensch und Staat. Im Rahmen dieser Filmreihe an der HU werden mehr oder weniger bekannte Filme gezeigt, die sowohl Opfer als auch Täter versuchen darzustellen. Eingeleitet durch kurze Vorträge, soll nach den Vorstellungen der thematische Schwerpunkt kritisch diskutiert und mögliche Bezüge zum tatsächlichen Ist-Zustand in der BRD hergestellt werden.
24. April 2003, 20 Uhr: Staatsfeind Nr.1
15. Mai 2003, 20 Uhr: Die Schweizermacher
22. Mai 2003. 20 Uhr: Brazil
12. Juni 2003, 20 Uhr: Minority Report
26. Juni 2003, 20 Uhr: Der Anderson Clan
24. Juli 2003, 20 Uhr: Blow Up
Krähe HU (gegenüber vom Kinosaal), 24. April 2003, 20 Uhr:
Staatsfeind Nr.1 (USA 98, R: Tony Scott, D: Will Smith, Gene Hackman)
Ein junger Naturwissenschaftler beobachtet mit seiner Videokamera den Mord an einem US-Senator. Um eine Aufdeckung seiner Verschwörung zu verhindern, versucht nun Thomas Reynolds, Chef der NSA, alles ihm mögliche, um die Aufnahmen in die Hände zu bekommen. Die besitzt mittlerweile der junge Anwalt Robert Dean (Will Smith), ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, was er da eigentlich mit sich herumschleppt.
Es beginnt eine Verfolgsjagd mit allen Möglichkeiten moderner (Überwachungs-)Technik: Dean verliert seine Familie, seinen Beruf, sein Geld und seine Kleidung. Seine Verfolger sind ihm scheinbar immer einen Schritt voraus und er am Rande der Verzweiflung.
Tony Scott ist ein spannender Action-Thriller gelungen, der gleichzeitig ein deutliches Plädoyer gegen den Überwachungsstaat ist. Der NSA fällt es leicht, Dean’s Daten zu verändern, ihn mit Hilfe von Wanzen und Satelliten zu überwachen und jedes noch so kleine Detail aus seinem Leben gegen ihn zu verwenden. Es wird deutlich, wie gefährlich Informationen sein können, wenn sie gegen die Menschen gerichtet werden. Der absolute Überwachungsstaat aus Orwells’ 1984 findet sich hier unter dem liberalen Deckmantel einer an wirtschaftlichen Interessen orientierten Demokratie.
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Krähe HU (gegenüber vom Kinosaal), 15. Mai 2003, 20 Uhr:
Die Schweizermacher (Schweiz 78, R: Rolf Lyssy, D: Walo Lüönd, Emil Steinberger, Beatrice Kessler)
Max Bodmer und Moritz Fischer, die Hauptfiguren dieser ironisch-satirischen Komödie ums SchweizerIn-Werden und SchweizerIn-Sein, gehören zu jenen Beamten der Züricher Kantonspolizei, die einbürgerungswillige AusländerInnen unter die Lupe nehmen müssen. Wer die Staatsbürgerschaft dieses schönsten, saubersten und reichsten Landes erwerben will, wird besucht, befragt, beobachtet, belauscht, beurteilt, verglichen, notiert, bewertet.
Dass bei einem solchen Überprüfungvorgang verschiedene Methoden angewendet werden können, erfahren in dieser doppelbödigen Geschichte ein deutscher Psychiater mit seiner Frau, ein italienischer Konditor und eine jugoslawische Balletttänzerin.
Der Film spielt hier einerseits auf eine unterhaltsame Art und Weise mit den Klischees rund um das Thema Einbürgerung und den damit verbundenen Einschränkungen im Alltag. Er zeigt aber auch die Gedanken und Gefühle sowohl der Beobachteten, als auch die der "Täter".
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Westflügel der HU, Raum 2097, 22. Mai 2003, 20 Uhr:
Brazil (GB 1985, R: Terry Gilliam D: Jonathan Pryce, Robert de Niro)
Der Film folgt Sam Lowry, einem Archivar im Informationsministerium (besser englisch: Ministry of Information Retrieval). Sam lebt in einer streng bürokratischen Welt, für jede Kleinigkeit gibt es den entsprechenden Antrag auf Papier. Seine Welt ist nicht wie Orwells 1984, offen totalitär und der Staat, soweit vorhanden, nicht allmächtig: Entprechend ihrem Stand erleben die Menschen bestimmte Freiheiten oder eben nicht. Doch ist der kapitalistisch-bürokratische Staat allgegenwärtig, sei es im Fernsehen, auf den Häuserwänden oder durch die, beständige, aber nicht furchteinflössende, Überwachung durch Kameras, Kontrollen, Aböraktionen und den nie endenden Papierkram. Und solange die Menschen sich nichts vorzuwerfen haben, brauchen sie sich auch nicht vor Repression zu fürchten. Sobald sie jedoch auffallen, aus dem Rahmen fallen, nicht der Norm entsprechen, beginnt der Apparat auf sie aufmerksam zu werden. Und das heisst nichts gutes.
Terry Gilliam hat ein Meisterwerk erschaffen, welches sich erfolgreich einer Einordnung in Schubladen entzieht. Ist es eine tragische Liebesgeschichte zwischen Sam und der Frau seiner Träume? Eine Kritik an Bürokratie? An der Datensammelwut der Behörden? Ein Krimi, der zur Aufklärung einer fälschlich verübten Verhaftung mit Todesfolge führen soll? - Übrigens ist es nichts ungewöhnliches in Brazil, wenn die Opfer für ihre "Behandlung" mit Todesfolge im Informationsministerium selbst zahlen müssen. Es sollte also niemanden wundern, wenn nach dem ersten Blick auf diesen Film, trotz linearer Erzählweise, ein grosses Fragezeichen im Kopf herumschwirrt.
Im Hinblick auf unsere Filmreihe liegt es jedoch nahe, das Augenmerk auf einen bestimmten Handlungsstrang zu konzentrieren: Sams Traumfrau wird, obwohl unschuldig, des Terrorismus verdächtigt. Wie kommt es dazu? Sie verhält sich auffällig, kratzt am System herum, und gerät in den Blick der Staatsgewalt. Die These: Auch wenn das System noch so viele Daten über Menschen sammelt, den "gläsernen Bürger" konstruiert, dürfen diese Daten auf keinen Fall als Rückschluss auf den den realen Bürger gewertet werden. Denn es liegt immer im Auge des Betrachters, in der Interpretation, was Daten bedeuten. Und diese kann nicht objektiv sein.
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Krähe HU (gegenüber vom Kinosaal), 12. Juni 2003, 20 Uhr:
Minority Report (USA 02, R: Steven Spielberg, D: Tom Cruise, Colin Farrell, Samantha Morton, Max von Sydow)
Im Jahre 2054 gibt es in Washington keine Morde mehr. Dank dreier "Pre-Cogs", unter Drogen gesetzten Menschen, deren Albträume ständig angezapft werden, kann John Anderton (Tom Cruise), Mitglied des "Department of Precrime", zukünftige Mörder zur Strecke bringen, bevor sie ihre Tat begehen können.
Als Anderton herausfindet, dass er selbst in einigen Stunden einen Mord an einem ihm unbekannten Menschen begehen wird, versucht er der totalen Überwachung zu entkommen und damit einer Gesellschaft, in der Privatheit ein Fremdwort ist - und dich in jedem Geschäft Maschinen mit Namen ansprechen, weil Augenscanner die Identität längst festgestellt haben.
Der Film zeigt nicht nur die neuesten Überwachungstechnologien im Einsatz, er beschreibt auch die Wunschvorstellung vieler Law&Order-VerfechterInnen: die "unfehlbare" Gesinnungsschnüffelei, der (Alb-)Traum von der vollständigen Berechenbarkeit und Kontrolle aller Menschen.
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Krähe HU (gegenüber vom Kinosaal), 26. Juni 2003, 20 Uhr:
Der Anderson Clan (USA 71, R: Sidney Lumet, D: Sean Connery, Dyan Cannon, Martin Balsam, Alan King)
James Bond-007-Darsteller Sean Connery heute einmal nicht auf der Seite des Gesetzes: Frisch aus dem Knast entlassen, hat er als Duke Anderson, Edelganove, Schlitzohr und Spezialist für sorgsam vorbereitete Raubzüge nichts Besseres zu tun, als gleich den nächsten Coup zu planen. Objekt seiner Begierde sind die mit Schmuck, Antiquitäten und Bargeld vollgestopften Wohnungen der Reichen im Apartementhaus seiner Freundin (Dyan Cannon). Mit einer hochkarätigen Mannschaft steigt er in Rififi-Manier in die Wohnungen ein - ohne zu ahnen, dass nebenan Abhörexperten der Steuerfahndung arbeiten.
In diesem witzigen Action-Thriller inszeniert Sidney Lumet charmant und en detail die Vorbereitung und Durchführung eines Einbruchs, der fast als Anleitung für direct actions durchgehen kann. Was den AkteurInnen verborgen bleibt, der ZuschauerIn jedoch in immerwiederkehrenden Ausschnitten und stetig offensichtlicher ins Auge fällt, ist die methodische und umfassende Überwachung der sympathischen Gangster. Neben aller Slapstick-Comedy zeigt Lumet die Ausrüstung und Arbeit der amerikanischen Geheimdienste. Deren Darstellung erinnert an Raumschiff Orion und entbehrt nicht einiger Ironie.
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Krähe HU (gegenüber vom Kinosaal), 24. Juli 2003, 20 Uhr:
Blow Up (GB 1966, 111 min., R: Michelangelo Antonini D: David Hemmings, Vanessa Redgrave)
Thomas (David Hemmings), Fotograf in einer urbanen und seltsam entfremdeten Welt voll schöner Frauen und schriller Farben beobachtet und fotografiert im Park eine Szene zwischen einem Mann und einer Frau - vielleicht eine geheime Liebesbeziehung. Bei der Entwicklung der Bilder entdeckt er im Hintergrund einen Fleck, vielleicht ein Gesicht, das ihm im Moment des Fotografierens entging. Immer wieder läßt er die Szene in der Erinnerung Revue passieren, vergrößert das Foto, versucht die Unschärfe auszugleichen, um herauszufinden, wer oder was sich dort im Gehölz verborgen haben könnte. Je länger er sich mit den Bildern beschäftigt, desto größer wird seine Gewißheit, daß er einem Verbrechen auf der Spur ist. Daß die Negative verschwinden, scheint seinen Verdacht zu bestätigen.
Die in unwirklichen, schreienden Farben dargestellte Wirklichkeit steht den kühlen, scheinbar objektiv dokumentierenden schwarzweissen Fotografien gegenüber. Den entscheidenden Moment, als das Gesicht (?) zwischen den Büschen erschien, hat kein menschliches Auge wahrgenommen, sondern die Kamera. Doch dieser Augenblick verändert auch Thomas' Wahrnehmung der Wirklichkeit, seiner Umgebung und seiner Mitmenschen.
Die Frage, ob wirklich ein Mord geschah, tritt letzten Endes in den Hintergrund vor der Frage nach dem Verhältnis von Interpretation und Wirklichkeit und der Beeinflussung unserer Wahrnehmung der Welt.
Was eine Kamera sieht (was aufgezeichnet wird), bekommt seine Bedeutung erst durch die Interpretation eines Menschen, der das Aufgezeichnete betrachtet und auswertet. Inwieweit diese Interpretation jedoch der Wirklichkeit entspricht, hängt nicht nur von den Kontextinformationen ab, sondern auch vom persönlichen Hintergrund des Interpretierenden.
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Die Filmreihe im Wintersemester 2002/03
Die Filmreihe im Sommersemester 2002